Buch aus Stein – Buch im Feuer
Michael Rakowitz lässt wertvolle, zerstörte Bücher in Afghanistan in Stein hauen
»What dust will rise from one horseman?« (etwa „Wieviel Staub kann ein einzelner Reiter schon aufwirbeln?“) ist der Titel einer Installation von Michael Rakowitz, die im Fridericianum während der documenta 13 zu sehen ist.
In Glasvitrinen werden an einer Wand stark beschädigte Bücher präsentiert. Bücher aus dem 16. bis 19. Jahrhundert, die aus der Landesbibliothek in Kassel stammen und in Folge eines Bombenangriffs der British Royal Air Force im September 1941 zerstört bzw. schwer beschädigt wurden.
400.000 Bände (etwa 90 Prozent des Bestands) gingen verloren, der Rest konnte nur mit großem Wasserschaden gerettet werden.
Die Landesbibliothek Kassel, gegründet 1580 von Landgraf Wilhelm IV. war von 1779 bis 1805 im Museum Fridericianum beheimatet. Ein eigener Bibliotheksbau, der seit 1957 auch die Bestände der Murhardschen Bibliothek mit denen der Landesbibliothek räumlich vereinte, befindet sich heute noch am Brüder-Grimm-Platz. Die Sammlung der Konsistorialbibliothek Hanau befand sich beim Bombenangriff im September 1941 als Leihgabe an die Landesbibliothek noch im Fridericianum. Hier wurden etwa 5000 Bände vorwiegend theologischen Inhalts Opfer der Flammen. Aus diesem Buchbestand wählte Rakowitz Exemplare für die Rekonstruktion in Stein aus.
Der Künstler Rakowitz ließ zur documenta mit Hilfe afghanischer und italienischer Steinmetze ließ auf der Grundlage der Überlieferung (Exemplare des Buches an anderen Standorten, Buchreste, Fotos, Beschreibungen etc.) Nachbildungen einer Anzahl verlorener Bände aus Travertin, einem Stein aus den Bergen von Bamiyan, anfertigen. In Bamiyan wurden vor einigen Jahren die monumentalen Buddha-Statuen von den Taliban gesprengt.
Die steinernen Bücher wecken Assoziationen mit Grabsteinen. Die verlorenen Bücher und die Bücher aus Stein werden zusammen mit dem Bruchstück eines Meteoriten, der 1954 auf die Erde traf, Fragmenten der zerstörten Buddhas und einer sumerischen Keilschrift-Tontafel aus der irakischen Antike (2.200 v.Chr.), die durch ein Feuer zufällig erhalten blieb, ausgestellt. In Rakowitz’Arbeit wird das BUCH ganz zeit- und ortsübergreifend in seiner Fragilität als Objekt und zugleich Unzerstörbarkeit als Kultursymbol vorgeführt. Mit der Zerstörung von Büchern und der Verwüstung von Kulturerbe und Menschenleben setzt sich der US Amerikaner Rakowitz schon länger auseinander. Der 1973 im Staat New York geborene Rakowitz stammt aus einer jüdisch irakischen Familie.
Helmut Krebs 2012-aug
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